Einführungsrede zur Ausstellung Angelika Kissing „Farbrhythmen“  im Inklusiven Begegnungszentrum der Gold-Kraemer-Stiftung

Vielleicht haben einige von Ihnen schon die Gelegenheit genutzt, sich ein wenig umzusehen. Und wenn Sie das Werk von Angelika Kissing kennen, die in diesen schönen Räumen schon mehrfach zu Gast war, werden Sie vermutlich ebenso erstaunt gewesen sein wie ich, als ich die Künstlerin vor einigen Wochen in ihrem Atelier im Signalwerk besucht habe.

 

Hier überrascht sie uns nämlich mit einer neuen Werkgruppe, die zum ersten Mal öffentlich gezeigt wird. Entstanden ist sie während des Lockdowns im vergangenen Jahr, einer Zeit, die uns allen zahlreiche Beschränkungen auferlegt hat. Angelika Kissing hat sie kreativ genutzt und sich frei von äußerer Ablenkung konzentriert ans Werk gemacht. 

Das Ergebnis sehen wir hier: in vielen Tönen leuchtende Gemälde mit dicht an dicht aneinander gesetzten Streifen, die sie unter dem Begriff „Farbrhythmen“ zusammenfasst hat.

Eine solche Serie entsteht nicht von jetzt auf gleich aus dem Nichts heraus. Vielmehr ist sie Teil einer fortlaufenden Entwicklung, die uns die Künstlerin anhand von drei abstrakten  Gemälden anschaulich vor Augen führt.

 

Elemente früherer Arbeiten sind darauf vereint: Farbsetzungen in unterschiedlicher Größen, pastos oder transparent, die sie etwa mit dem Rakel und anderen Hilfsmitteln bearbeitet hat. Eingedruckte Muster treten auf, außerdem Gitter und balkenartige Verschränkungen, die die vielteiligen Kompositionen überlagern und akzentuieren.

 

Nun also Streifen. Auch diese Bilder basieren auf der sicheren Erfahrung eigener malerischer Gesetze, die Angelika Kissing in einem langen, intensiven Künstlerinnenleben erworben hat.

Streifen begegnen wir in der Kunstwelt übrigens des öfteren, und sie scheinen eine besondere Anziehungskraft auszuüben.

Als erstes fällt einem der Konzeptkünstler Daniel Buren ein. Seine Streifen sind immer exakt 8,7 Zentimeter breit und abwechselnd weiß und farbig, ein Prinzip, dem er seit Jahrzehnten treu ist. Der Ire Sean Scully baut seine Gemälde oft aus vertikalen und horizontalen Farbbahnen auf, dabei kommt der Farbe Schwarz eine besondere Bedeutung zu. Auch Gerhard Richter hat ein Faible für Streifen. Seine „Strip-Bilder“ setzen sich aus computergenerierten Farblinien zusammen, die allerdings nicht von Hand,sondern mittels Inkjet auf den Bildträger gebracht werden.

Angelika Kissing geht von der Farbe aus. Farbe, leuchtend, lockend und verführerisch, ist ein Markenzeichen ihres Werks. Darin schwelgt sie auch in der neuen Werkgruppe der „Farbrhythmen“. Unerschöpfliche Kombinationsmöglichkeiten bieten sich da, die sie mit selbst eingefärbten Papierstreifen sorgfältig austestet und manchmal auch wieder verwirft, wenn sie ihrem Anspruch nicht standhalten. Dabei ist ihre Vorliebe für Komplementärkontraste unübersehbar und Ihnen sicher auch schon aufgefallen.

 

Aber auch das Spiel mit verwandten Farbakkorden, wie auf der Einladungskarte zu sehen und hier im Original zu bewundern, beherrscht sie meisterlich, ganz gleich, ob dabei Rot, Grün oder Gelb den Ausgangspunkt bilden. Die Farbe oder besser die Interaktion von Farben bietet ebenso viele Variationsmöglichkeiten wie die Breite der Stränge, die von einem breiten Block bis zu einer dünnen Linie reicht. Mit dieser Freiheit an Optionen geht die Künstlerin gewohnt souverän um und findet dabei zu überzeugenden, sicher austarierten Bildlösungen.

 

Eine feine Vorzeichnung mit Bleistift und Abdeckband sorgen dafür, dass sich die Streifen  präzise und messerscharf aneinander fügen und jeder persönliche Duktus ausgeschaltet ist. Dennoch spürt man bei jedem Bild die Hingabe an die Oberfläche und ihre Tiefenwirkung. Dass die Längsrichtung dominiert bei dieser Serie ist vielleicht einfach der Erdanziehungskraft geschuldet oder der Tatsache, dass Angelika Kissing beim Malen der Auf-Abwärts-Bewegung den Vorzug gibt. Die Streifen haben sie auf jeden Fall gerade ganz fest im Griff. „Ich könnte damit immer weitermachen“, hat sie mir im Vorgespräch verraten.

 

Wir als Betrachter können uns nicht sattsehen an diesen visuellen Ereignissen, die soviel Vitalität und Sinnlichkeit ausstrahlen und formal und farblich voller Überraschungen stecken.

In unserer hektischen, chaotischen Welt, die immer unübersichtlicher wird, suchen wir zunehmend nach Orientierung und Klarheit. Die gibt uns Angelika Kissing mit ihren Farbrhythmen, die wohltuende Ordnung und innere Ruhe vermitteln und zugleich mit jeder Menge positiver Energie aufgeladen sind, von der Sie sich unbedingt anstecken lassen sollten..

 

Hanna Styrie

 


Einführungsansprache zu der Ausstellung von Angelika Kissing im Hexenturm/ Kunstverein Jülich, 06.03.2015

Angelika Kissing, bekannt als Keramikerin und Malerin, zeigt eine Auswahl aus vier Werkgruppen der jüngsten Zeit mit Themen, Motiven und neuen keramischen Verfahren, die sie in der letzten Zeit sehr beschäftigt haben. Sie haben also Gelegenheit, hier einen Blick in ihren aktuellen Produktionsprozess zu tun.  Die Künstlerin hat in den letzten Jahrzehnten eine ganze Reihe keramischer Verfahren meisterlich entwickelt und angewandt und dabei ganz eigene individuelle künstlerische  Positionen entwickelt. Architektonische Bauformen, Kuben, Quader, Kegeln und Kugeln kommen in ihren Arbeiten immer wieder vor und bilden quasi den roten Faden, der sich durch ihre Werkentwicklung zieht. Dem entsprechen in ihrer farbenfrohen Acrylmalerei die Schichtungen von rechteckigen geometrischen Formen.

 

In ihrer Installation "gesammelt und gesichtet" versammelt sie eine Vielzahl von Kuben mit der Kantenlänge 19 cm. Einige sind wie ein noch im Entstehen begriffener Aufbau auf dem Boden gestapelt, andere sind zu hohen Stelen aufgetürmt. In einem über Jahre entwickelten Umdruck- und Bemalungsverfahren hat sie, ausgehend von Fotos, oft aus ihrem eigenen Leben, jeden dieser Würfel mit Bildern und Texten versehen, in denen sich Geschichten kristallisieren. Auf den getrockneten Ton umgedruckt, wirken die Fotos seltsam zart und strahlen so eine nostalgische Atmosphäre aus, wie Bilder, die man auf dem Dachboden gefunden und gesammelt hat und die jetzt gesichtet werden. 

Die Würfel laden zum Betrachten und Lesen ein, wobei die Erzählungen über das spezifisch Biografische hinausgehen und im Betrachter eigene Erinnerungen wecken.

 

Auch die Werkgruppe "Häuser" mit ihren markanten viertelkreisförmigen Sägezahndächern, die an das Ludwig Museum in Köln erinnern, trägt auf den Außenwandungen Fotocollagen von Bildern, die uns als Betrachter ansprechen, kommen uns doch viele dieser Bilder bekannt vor.

 

Ihre Bodeninstallation mit  einer Vielzahl von mittelformatigen, eleganten Figurinen erinnert an eine Versammlung von Hofdamen in ihren Reifröcken. Beginnen sie, Pirouetten für einen Hofball zu proben?  Viele Assoziationen werden von den grazilen Figuren ausgelöst. Sind es Muttergottheiten? Eine antike Gymnastikgruppe? Gelenkig schließen sie halbkreisförmig ihre Arme über dem Kopf zusammen. Ihre Gesichter sind individuell gearbeitet, es lohnt sich, sie näher zu betrachten. Die Gruppe aus rotem Ton trägt auf den bauschigen Röcken weiße Porzellanscherben wie Mosaiksteine eingebrannt.  Einer Gruppe aus hellem Ton hat die Künstlerin Letternstempel in den feuchten Ton eingedrückt, in der Type eine klassischen Antiquaschrift,  so dass sie eine antike Anmutung bekommen.  Auch die großen Figurentorsi, Körper ohne Kopf und Arme, die uns aus den Turmnischen wie in erhabener Stille entgegenleuchten,  fällt dadurch auf, dass auf ihrem wunderbar klassisch geformten Korpus ebenfalls Fotos, Bilder und Schrift appliziert sind. 

 

Angelika Kissing hat in den letzten Jahren mit ganz unterschiedlichen Ansätzen die bisher gesehenen frei aufgebauten keramischen Formen überschritten und um neue Formen, erzählerische, architektonische, teilweise destruierte und neu zusammengesetzte bereichert. Hinzu kam das Experimentieren mit neuen Verfahren, die bisher in der Keramik unüblich waren. Damit rücken ihre keramischen und ihre malerischen Arbeiten in Bezug auf die architektonische Schichtung wie auf die Farbigkeit aufeinander zu.  

 

Helmut Kesberg, Köln 04.03.2015 


Martin Turck über Angelika Kissing

Angelika Kissings abstrakte Malerei lebt von der Farbe. Nach einem Studium an der Krefelder Hochschule für Keramik und Design und zahlreichen Ausstellungen ihres plastischen Schaffens, hat sie sich seit den 1990er Jahren zunehmend intensiv der neo-expressionistischen Malerei zugewandt. Sie entwickelt malerische Positionen, die einen Kontext herstellen zwischen den intuitiven Vorstellungen und Reflexionen eines nicht-figurativen künstlerischen Ausdrucks in abstrakten Gemälden und der konkreten Gestaltbildung plastischer Figuration in skulpturalen Entwürfen.

 

Das Thema ihrer neuen Gemälde (‚Stadt Fluss Land’, 2008, Öl/Lwd., 85 x 85 cm und 160 x 140 cm) ist die Stadt. Fern von den Ansichten und Veduten einer naturalistischen Wiedergabe des Städtischen übersetzt sie charakteristische urbane Bildformen in abstrakte - jenseits der konkreten Anschauung - konzentrierte Strukturen. Der systematisierte Bildaufbau beruht auf der Ordnung eines chaotischen Rasters, dessen emblematische Bildform den Anfang ihrer Beschäftigung an einer geplanten Komposition markiert. Die ‚Eroberung’ des zweidimensionalen Bildraums stellt sich als ein hochkonzentriertes passiv-aktives Procedere mit einfachen Mitteln dar. Auf die Leinwand geschüttete schwarze Farbe rinnt mehr oder weniger schnell über die Bildfläche, die von der Künstlerin in vertikaler und horizontaler Richtung bewegt wird. Die Farbe hinterlässt unregelmäßig sich ausdehnende Spuren, Linien die sich überschneiden und sich zur Abbildung eines graphischen Netzwerks verdichten. Es ist ein Automatismus dynamischer Malerei, dessen Intensität die Initiative des Malens von Schwere befreit. Der aktiv genutzte Zufall bestimmt den Entstehungsprozess der Bildstruktur, Kontrolle und Passivität lassen auf der Leinwand Gebilde entstehen, die schlierenartig sich entwickeln, Schwünge erzeugen, und Konzentrationen wie abstrakte und frei figurierte Linien und Geflechte bilden. Es sind jeweils komplexe sowie feinteilige Strukturen malerischer und flüchtiger Delikatheit.

Im weiteren Arbeitsprozess fügt Angelika Kissing dem noch feuchten Farbverbund in mehreren Schichten weitere Farben hinzu und erzeugt mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten kleinteilige, komprimierte und unkonkrete Formen. In dieser Phase der Bildwerdung ist der Malprozess offen und überlässt die noch flüssigen, sich ausdehnenden oder zurückziehenden Ölfarben einem kontrollierten Mixtum. Dort wo sich die Formsequenzen der formalen Struktur und gegenstandsloser Expression überlagern und zum Flächen bildenden Bezug tendieren, scheint die Bildformel des körperhaften Rasters aufgehoben. Energien des Malprozesses überlagern sie. Sich kreuzende und ausschweifende Farbverläufe widersetzen sich dem herrschenden Schema, sie weichen die Strenge des rhythmisch Konstanten auf und erzeugen die Imagination räumlicher Tiefe.

 

In einer weiteren Werkphase mit großen Arbeiten (o.T., 2008, Öl/Lwd., 150 x 130 cm und 160 x 140 cm) entfalten sich die komponierten Relationen illusionistischer Räume großzügiger als in den kleinteiligen dunkeltonigen Stadtbildern. Rhythmus, Proportion und Systematik des Zusammenspiels von Farbe, Form und Fläche erzeugen eigenständige Einheiten und Muster informell organisierter Kombinationen. Wiederum tragen formelhafte Gitter gerasteter Struktur zum visuellen, fast ornamentalen Charme der Kompositionen bei. Der Entstehungsprozess der Bilder ist experimentell, emotional, unscharf. Ihr Gehalt und ihre Bedeutung sind ungefähr und nicht fixiert. Es scheint, als ließe Angelika sich ab einem gewissen Punkt der Bildfindung, den sie selbst als ‚ästhetischen Zufall’ erlebt, ganz auf die Forderungen des Materials ein. Im offenen Verfahren improvisiert sie mit vielschichtigen Prozeduren zwischen Entwurf und Übermalung, zwischen Intuition und Korrektur, und gelangt zu einem Ergebnis, das ein hohes Maß an innerer Notwendigkeit - vielleicht emotionaler Nähe - in sich trägt. Angelikas Zweifel an der Unmittelbarkeit und Darstellbarkeit der Realität ist die Bedingung für das Nicht-Eindeutige. Entmaterialisiert ist die dargestellte Welt, die wir weder kennen noch beschreiben können. Indifferent gegenüber den Erscheinungen des Realen und fasziniert von deren Vielfalt erfindet sie eigengesetzliche Erlebnisräume, die keiner Logik folgen, unbegründet und unbegreiflich bleiben. Eine objektive Bestandsaufnahme kann nur von der Farbe, der Farbwahl, die in ihrer Vielfalt nicht dem Zufälligen unterliegt, ausgehen. Der Reichtum an stofflicher Substanz und malerischer Technik und deren Wirkungen ist bemerkenswert.

 

Zitate einer auf der Abstraktion beruhenden künstlerischen Ausdruckskraft sind die plastisch-figürlichen Modelle aus Papier mit dem beschreibenden Titel „embodied memories“ (2006, 65 x 30 cm (Durchmesser)). Der Zufall und seine Ursachen haben die Künstlerin zu den körperhaften Gebilden animiert: eine Ansammlung der im Herstellungsprozess ihrer Gemälde mit flüssigen Farbüberschüssen getränkten Seidenpapiere dienen als Material mit dem sie abstrahierte, mit der Maßstäblichkeit und Proportion des menschlichen Körpers korrespondierende Raumbilder, gestaltet. ‚Die embodied memories’ sind aufgehobene Erinnerung, die Angelika Kissing mit der Malerei und ihrer Gegenwart rhetorisch belebt.

Eine entscheidende Veränderung und Verwandlung stellen die früheren tönernen Plastiken gleichen Titels dar (2005, gleiches Format 65 x 30 cm). In ihnen weicht die existentielle Unsicherheit und materielle Fragilität der Papiermodelle einer stabilen Standfestigkeit und formalen Gebundenheit. Expressiv und emotionsgeladen sind es Modelle des menschlichen Körpers, geformt aus Erinnerungen, gegossen und erstarrt zu zeichenhaft abstrahierten Gestalten. Ein Ornament auf den gerundeten Oberflächen besteht aus einem Muster endloser Buchstabenfolgen, deren Neigung Worte und Bedeutungen zu assoziieren, sich nicht erfüllt und als stummes Zeichensystem verharrt.

Gehalt und Bedeutung beider Materialvarianten – der seidig-zarten und verletzlichen sowie der festen und beständigen – fixieren und materialisieren Psychogramme des Erinnerns und Vergessens persönlicher Erfahrung und Intuition.

 

Weitere keramische und plastische Techniken wendet die an der Krefelder Fachhochschule für Keramik und Design in Theorie, Formalismus und konstruktiver Figuration geschulte Künstlerin bei ihren architektonischen Modellen, Zellenbauten und experimentellen skulpturalen Entwürfen an. Vertraut mit den Traditionen der jüngeren Moderne und den Avantgarden des 20. und 21. Jahrhunderts entwickelt Angelika Kissing Raumschöpfungen zeitgenössischer Plastik, die wesentliche Impulse aus der Architektur beziehen. Eine am Raster orientierte Ästhetik entwirft sie - wie in den Gemälden - auch bei ihren konstruktiven Bildformen architektonischer Phantasien, und konzipiert inhaltlich und visuell signifikante Motive mit dieser konkreten künstlerischen ‚Formel der Jetztzeit’. Ihre aus Tonplatten (Plattentechnik) zusammengefügten Zellenbauten (2003, 175 x 75 x 42 cm und 70 x 35 x 15 cm) sind zu konstitutiven Gittergefügen vereinfachte und formalisierte Körper, die die Erfahrung der Plastik auf die Erfahrbarkeit ihrer Materialität zu reduzieren scheinen. Die Strenge einer All-Over-Struktur, die Vagheit exakter Formen und das Spiel mit Auslassungen verleiht den ornamental wirkenden, starren Mustern Dynamik.

 

Im Einklang von Form und Konstruktion verbildlichen starkfarbig und weiß glasierte 

Hausmodelle (Ton, glasiert, 2004/05, ca. 30 x 30 x 25 cm), deren Expressivität in der Präzision von Linie, Fläche und Körper liegt, Urformen des Gebauten. Angelika Kissings Vertrauen in die gebaute Welt begründete die Ausstellung ihrer Haus-Skulpturen 2005 im Rahmen der ‚plan 05 - Forum aktueller Architektur’ in Köln. Die Präsentation der modellhaften Bauten einer ‚Idealstadt auf Zeit’ zeigte die formalen und ideellen Möglichkeiten einer künstlerischen Konzeption im Wechselspiel der elementaren Qualitäten von Skulptur und Architektur.

Formales Denken, das von der Fläche in den Raum ausgreift, bezeugen die aus Holz gefertigten Modelle (o.T., 2004, ca. 70 x 50 x 50 cm) und auf wenige komplexe - wiederum einem räumlichen Raster unterliegende - Strukturen reduzierten hölzernen Installationen (Stille, 2005, und ca. 250 x 250 x 250 cm), die wesentliche Determinanten des Materiellen und seines Volumens bestimmen. Die skulpturale Ästhetik experimenteller Konstruktionen weißt weit über die Figuration hinaus und konfrontiert den Betrachter mit den Recherchen und Visionen einer sensiblen Künstlerin auf der Suche nach neuen Potentialen des Gebauten: nach Improvisation, Individualität, Identität. 

 

Der Glaube an die Schönheit ist Angelika Kissing der Impuls für ihre experimentelle Arbeit. Ihr bisheriges und aktuelles Werk in den künstlerischen Medien Malerei, Plastik und Installation ist geprägt von Kontextbildung und Pluralismus unterschiedlicher Bildsprachen und Räume. Der schwebenden Freiheit des Malerischen und unendlichen Fortsetzbarkeit des Gegenstandslosen in den Gemälden steht ein dialektisches Spiel von Funktion und Form, von Freiheit und Bindung in den plastischen Erfindungen gegenüber. Das konstruktive Prinzip plastischer Praxis steigert sie in den Installationen hin zu einer freien Erfahrung, zu nicht determinierbaren, elastischen Raumkörpern, die wiederum das Undenkbare und Unendliche, das den abstrakten Gemälden zu Grunde liegt, repräsentieren.

In der Kunst geht es immer um Vollkommenheit, die uns unsere Welt nicht bietet. Angelika Kissing vertraut der tadellosen Meisterschaft, ihren Fähigkeiten und den Energien des Zufalls, des Zweifels und der Spontaneität. Und sie weiß, dass die Kunst am Ende immer Imagination, immer Fiktion bleibt …

 

Martin Turck